„Deitsch un frei“ wollen sie sein: Freie Sachsen, Corona-Leugner und die Vernetzung der extremen Rechten

Eine Rezension zu Krell, Michael/Böhme, Tom (Hgg.): Sächsische Realitäten. Analysen aktueller Protestphänomene der radikalen Rechten in Sachsen, Dresden/München: Thelem, 2024, ISBN 978-3-95908-718-6, verfasst von Robin Reschke

Corona-Proteste, Säxit-Forderungen und brennende Flüchtlingsheime – wie das alles zusammenhängt, untersuchen der Humangeograf Michael Krell und der Soziologe Tom Böhme in ihrem jüngst erschienenen Sammelband zur Protestkultur der radikalen Rechten. In 13 Beiträgen nähern sich dabei junge Wissenschaftler:innen aus politikwissenschaftlichen, historischen und medienanalytischen Perspektiven an das Phänomen rechter Proteste in Sachsen an. Zudem beschäftigen sich die Beiträge mit der Partei Freie Sachsen und gehören somit – neben der Studie von Johannes Kiess und Michael Nattke[1] – zu den ersten, die sich wissenschaftlich mit ihr auseinandersetzen. Den gemeinsamen Nenner des sonst breit angelegten Themenspektrums, bilden das neu-rechte Mobilisierungspotential, Strategien und Ideologien.

In der Einleitung des Bandes machen Krell und Böhme die sächsische CDU als normative Kraft eines suprematistischen Selbstverständnisses der Sachsen und Sächsinnen aus, die in den Freien Sachsen eine Stimme und Heimat ihrer eigenen Überlegenheitsfantasien gefunden hätten (S. 6 ff). Die bundesweite rechte Mobilisierungswelle im Zuge der Covid-19-Pandemie führte auch hierzulande zu einer weiteren Radikalisierung rechter und rechtsaffiner Gesellschaftsteile. Die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus leisteten einem rechts-autoritären Freiheitsverständnis Vorschub, dem die Freien Sachsen unter der Anton Günther‘schen Hymne „Deitsch un frei woll’n mir sei“ beträchtliche Anknüpfungspunkte boten. Vorschub für die weitere Radikalisierung leisteten u. a. geschlossene Social-Media-Kanäle, die als Echokammer mit wiederkehrenden Selbstvergewisserungsritualen ein geschlossenes Weltbild förderten. In Doppelfunktion fungierten diese Kanäle als Knotenpunkt einer weiteren Vernetzung im rechtsextremen Milieu.

Cover des Sammelbandes "Sächsische Realitäten"

Abb. 1: Cover des Sammelbandes mit Foto eines Demonstrationszuges mit Symbolen der Freien Sachsen in Chemnitz (© Cover: Thelem Verlag, © Coverbild: Finn Becker)

Frederike Kantzenbach fragt in ihrem Beitrag nach den Grundlagen der sächsischen Identität und deren ideologischer Verwendung durch die Freien Sachsen. Sie nähert sich anhand der Ideologiedefinitionen von Marx und der Frankfurter Schule an das Thema an und zeichnet die Wechselwirkung zwischen Neoliberalismus, Identitätsfindung bzw. -angebot der Kleinpartei und deren Ideologie nach. Welche Vorstellungen vom (als sächsisch definierten) Raum als soziales Konstrukt die Freien Sachsen propagieren, zeichnet Michael Krell in seinem Beitrag nach. In Anlehnung an die „Theorietradition der Radical Geographie“ (S. 65) erkennt der Autor im Grundsatzprogramm der Partei konkrete Vorstellungen bzw. Forderungen nach mehr politischer Autonomie (Säxit).

Tom Böhme geht in seinem Beitrag auf den Telegram-Kanal der Freien Sachsen ein. Er kommt zu dem Ergebnis, dass dieser aufgrund geschickter Marketingstrategien (S.113 f.) und Emotionalisierung ein Identitätsangebot schafft, das einerseits als Echokammer der Selbstvergewisserung und andererseits als Durchlauferhitzer für weitere Radikalisierung dient. Diese wirkt sich in zunehmenden Maße auch im realen Leben aus, wie Felix Roth feststellt, wenn er aufzeigt, wie Gewalt gegen Andersdenkende geschürt und legitimiert wird.

Flagge der Freien Sachsen, einer monarchistischen Partei im deutschen Bundesland Sachsen

Abb 2: Flagge der Freien Sachsen mit symbolischem Rückbezug auf die sächsische Monarchie vor 1918 (Wikimedia Commons/Zyxrq, Lizenz: CC0 1.0)

Damit sind die Freien Sachsen nicht alleine, wie Anne Herpertz herausarbeitet: Sie zeichnet in ihrem Beitrag nach, welche personellen und ideologischen Kontinuitäten zwischen den Corona-Protesten, Pegida und der Kleinpartei bestehen. Die Konsequenzen solcher Vernetzungen werden in Bea Bernsteins Beschreibung der rechten Hegemonie in Bautzen deutlich. Die fortgeschrittene Normalisierung rechtsextremer Positionen in der gesellschaftlichen Mitte führe zu einem fortschreitenden Dominanzanspruch radikal rechter Gruppen, die diesen auch mit hoher Gewaltbereitschaft vertreten.

In der Folge betrachtet Leon Schemm die „Stillen Proteste“ entlang der Bundesstraße B96. Die im Zuge der staatlich verordneten Beschränkungen zur Eindämmung der Covid-19 Pandemie entstandene Protestform ist einmalig in der Bundesrepublik. Schlemm arbeitet die ideologische Bandbreite der Protestierenden heraus, die sich von Verschwörungserzählungen bis hin autoritär-libertären Weltanschauungen erstreckt. Interessant ist, dass sich unter den Protestierenden auch Personen befanden, die sich selbst als politisch links einordneten. Um dieses Phänomen besser zu verstehen, bietet der anschließende Beitrag von Paula Voigt mit einer qualitativen Analyse eines Redebeitrags von Jürgen Elsässer eine mögliche Antwort – dessen Biografie ist von politischen Metamorphosen durchzogen, die sich über linksextreme zu rechtsextremen Einstellungen erstrecken. In seiner linken Vergangenheit mag auch Elsässers Antiamerikanismus verortet sein, mit dem er versucht, Anknüpfungspunkte bei der „vernünftigen“ Linken zu konstruieren (S. 248). Der Verweis auf gemeinsame Feinde als lagerübergreifendes Verbindungselement gehört zu den häufigsten Strategien der Querfrontbewegung, die, wie Voigt aber betont, politisch eindeutig rechts steht.

Mara Knauthe konzentriert sich in ihrem Beitrag auf die Frage, inwiefern das politische Verhalten der CDU zu einer Normalisierung rechtsextremen Gedankengutes beigetragen hat. Am Beispiel des Umganges des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer mit Corona-Demonstranten kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Dialogstrategie lediglich zu einer weiteren Rechtsverschiebung der CDU und somit gleichzeitig zu einer Normalisierung rechtsextremer Positionen geführt habe. Unter anderem seien menschenfeindlichen Aussagen bei Gesprächen zwischen dem Ministerpräsidenten und Demonstrant:innen nicht widersprochen, neurechte Narrative bezüglich der Migration übernommen und die eigene Verantwortung negiert worden, in dem z. B. auf die Ampel-Koalition verwiesen wurde.

Diese Form der Selbstbestätigung und Normalisierung hat auch Konsequenzen für Reporter:innen, die sich während ihrer Arbeit mit einer zunehmend radikalisierten Pressefeindlichkeit konfrontiert sehen. Klemens Köhler beschreibt anschaulich anhand persönlicher Erfahrungen die Eskalationsspirale, die über Beschimpfungen bis hin zur Gewalt gegen Pressevertreter:innen reicht. Außerdem beleuchtet u. a. die Rolle der Polizei bei solchen Auseinandersetzungen, der er zwar vorbildliches und beispielhaftes Verhalten assistiert (S. 304), das aber in Einzelfällen damit krass unterlaufen werde, in dem eine Opfer-Täter-Umkehr betrieben werde.

Auf die Frage, weshalb Menschen deren Dresscodes dem linksalternativen Milieu zuzuordnen sind, auf Corona-Demonstrationen den Schulterschluss mit Neonazis vollzogen, könnte der Beitrag von Leander Baumgertel eine Antwort bieten. Er analysiert die Sprache der Esoterik hinsichtlich verschiedener Topoi und kommt zu dem Schluss, dass sie z. T. kompatibel mit rechtsextremen Verschwörungstheorien sei. Im letzten Beitrag des Bandes beschäftigt sich Tom Thümmler mit der erinnerungskulturellen Dimension historischer Architektur und deren Rezeption (durch die extreme Rechte) nach der Wende.

Mit seinem Fokus auf die gegenwärtigen, neuartigen Ausprägungen der extremen Rechten, leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zur differenzierteren Betrachtung der unterschiedlichen Ausdrucksformen rechter Narrative. Wie eingangs schon betont, nimmt die Analyse der Partei Freie Sachsen einen besonderen Stellenwert ein. Positiv hervorzuheben ist die empirisch-analytische Vorgehensweise mancher Beiträge, die einen guten Einblick in das (strategische) Denken und Handeln rechtsextremer Akteure offenbart.

Anzumerken sei aber, dass der inhaltliche Zugang zu einzelnen Beiträgen wegen ihrer schablonenhaften Anwendung wissenschaftlicher Methoden für Leser:innen ohne Fachkenntnis erschwerend sein kann. Für studentische und interessierte Leser:innen bietet das Buch einen guten, wenn auch anspruchsvollen Einstieg in das wichtige Thema „Rechtsextremismus“ in Sachsen. Für das Fachpublikum eröffnen sich in dem Buch neue Perspektiven, aus denen sich wichtige, weiterführende Fragestellungen ableiten lassen.


[1] Johannes Kiess/Michael Nattke, Widerstand über alles. Wie die Freien Sachsen die extreme Rechte mobilisieren, Leipzig 2024.


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
RR (29. April 2025). „Deitsch un frei“ wollen sie sein: Freie Sachsen, Corona-Leugner und die Vernetzung der extremen Rechten. Saxorum. Abgerufen am 22. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13u13


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